EGON KUHN GESCHICHTSWERKSTATT IM FREIZEITHEIM LINDEN e.V.


Jonny Peter:

Alfred Jahn



Auszüge aus der Broschüre "Alfred Jahn und das Reichsbanner" von Jonny Peter, Silvia und Manfred Wolter sowie Susanne Böhmer, die in der Egon Kuhn Geschichtswerkstatt im Freizeitheim Linden e.V. erhältlich ist.

 


 

Alfred Jahn gehört zu den wichtigsten Akteuren der hannoverschen Arbeiterbewegung in der Weimarer Zeit. Im Nationalsozialismus muss der Geschäftsführer des 1933 verbotenen Reichsbanners und Mitglied einer sozialdemokratischen Widerstandsorganisation die meiste Zeit im Zuchthaus und in verschiedenen Konzentrationslagern verbringen. Als er im Mai 1945 befreit wird, ist er fast 60 Jahre alt. Und es ist geradezu ein Wunder, dass er – gesundheitlich stark gezeichnet – die Torturen überhaupt überlebt hat. Die meisten der folgenden Informationen stammen von Materialien aus dem Niedersächsischen Landesarchiv/ Hauptstaatsarchiv.

 


 

Wer ist Alfred Jahn?

Alfred Jahn wird am 14.10.1885 in Langensalza in Thüringen geboren. Der Vater ist Karl Louis Oskar Jahn, von Beruf Weber, die Mutter Henriette Louise, geb. Tangermann. Nach der Beendigung der Volksschule arbeitet Alfred Jahn vom 14. bis 18. Lebensjahr in einer Mechanischen Weberei in Hamm mit einer Ausbildung als Bürogehilfe. Von 1903 bis 1905 arbeitet er in einem Kohlenbergwerk. 1905 meldet er sich freiwillig bei dem thüringischen Ulanenregiment Nr. 6. Dort ist er bis 1910 tätig.

Am 24.12.1910 heiratet Alfred Jahn (mit Wohnort Hannover-Linden) in Langensalza Elisabeth Ester. Am 19.8.1905 ist in Massen/ Kreis Hamm der Sohn Wilhelm geboren worden. Später kommen die Töchter Hildegard und Martha zur Welt.

Nach der Militärzeit Alfred Jahns zieht die Familie nach Hannover. Er wird Hilfsschutzmann bei der Polizei. 1921 wird er wegen „Unterschlagung im Amte“ verurteilt und muss seinen Dienst bei der Polizei aufgeben. Seit 1919 ist Alfred Jahn Mitglied der SPD und wird auch zum Bürgervorsteher (heute: Ratsmitglied) in Hannover gewählt.

1925 wird er Geschäftsführer des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold in Hannover und arbeitet hier bis zum Verbot des Reichsbanners 1933. Alfred Jahn selber nennt seine Funktion später immer Geschäftsführer. Andere Mitstreiter beschreiben seine Funktion auch als technischen Leiter des Reichsbanners.

 


 

Im Nationalsozialismus im Widerstand, im Zuchthaus und in KZs

Bei dem SA-Überfall auf eine SPD-Wahlveranstaltung am Lister Turm am 21.2.1933 wird Alfred Jahn durch einen Prellschuss am Bein verletzt. Die beiden Reichsbannermitglieder Wilhelm Heese und Willi Großkopf sterben durch Schussverletzungen.

Nur wenige Tage nach diesem Ereignis in Hannover steht am 27.2.1933 in Berlin der Reichstag in Flammen. Die Nationalsozialisten nutzen diese Vorgänge als weiteren Vorwand, um die Opposition weiter einzuschränken und die Demokratie abzuschaffen.

Eine weitere Niederlage für die Arbeiterbewegung und das Reichsbanner in Hannover ereignet sich am 1.4.1933, dem Tag des Boykotts jüdischer Geschäfte. An der Goseriede befindet sich das Gewerkschaftshaus. Da es seit Mitte 1932 zu SA-Überfällen kommt, übernimmt das Reichsbanner rund um die Uhr die Überwachung der Eingänge der Gewerkschaftshäuser. Als der damalige Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) Bock sich nicht ausweisen kann, verwehrt man ihm den Zutritt. Daraufhin fordert er Alfred Jahn als Verantwortlichem des Reichsbanners dazu auf, die Wachen abzuziehen. Das lehnt Alfred Jahn ab. Als Kompromiss einigt man sich darauf, einen Zutritt ohne Ausweis nur durch eine dortige Gaststätte zu ermöglichen. Dies ist am 1.4.1933 das Schlupfloch für zwei Nazis, um in den Innenhof zu gelangen und dort Schüsse abzugeben. Dies wiederum nutzen SS-Mitglieder der Standarte 12, um daraufhin die Gebäude unter dem Vorwand zu stürmen, aus einem Haus sei geschossen worden. Gegen die schwer bewaffneten SS-Leute haben die sechzig unbewaffneten Reichsbannermänner keine Chance. Sie ergeben sich ohne Widerstand. Auf dem Hauptgebäude hissen die Nazis die Hakenkreuzfahne als Zeichen ihres Triumphes. [Vgl. Obenaus, Herbert. Hannover 1933, S. 60/61].

Alfred Jahn muss im Anschluss an diese Vorgänge als hauptamtlicher Organisationsleiter des Reichsbanners vorzeitig aus dem Dienst ausscheiden. Das Reichsbanner wird aufgelöst.

Am 5.3.1933 war Alfred Jahn das erste Mal nach seiner Wiederwahl zum Bürgervorsteher des Rates der Stadt Hannover für die SPD kurzzeitig verhaftet worden. Vom 13.6. bis 23.6.1933 ist er erneut in Schutzhaft im Polizeigefängnis in Hannover, vom 24.6. bis zum 8.7.33 in Moringen und vom 31.7. bis 28.8.33 im Polizeigefängnis in Hannover und im Gerichtsgefängnis in Moringen. Es kann ihm allerdings nichts Rechtswidriges nachgewiesen werden und so wird er am 28.8.1933 wieder entlassen.

Er findet keine Arbeitsstelle und bekommt keinerlei öffentliche finanzielle Unterstützung. Er kann allerdings ein kleines Lebensmittelgeschäft erwerben, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Alfred Jahn wird in der Folge auch für die sozialdemokratische Widerstandsorganisation „Sozialistische Front“ aktiv. Bereits im Sommer 1932 war Werner Blumenberg auf einer Abteilungsleitersitzung der SPD mit der Vorbereitung für eine mögliche Illegalität der Partei beauftragt worden. Seit 1934 entwickelt sich daraufhin eine Gruppe unter dem Namen Sozialistische Front mit einer geschätzten Zahl von 1.000 Mitgliedern. Sie wird zur größten regionalen Widerstandsorganisation im 3. Reich. Wichtigste Aktivität ist die geheime Herausgabe und Verbreitung der „Sozialistischen Blätter“.

Die Sozialistische Front gehört zu einer Anzahl von Gruppierungen, die „Widerstand“ gegen das Hitler-Regime leisten. Widerstand darf hier nicht als bewaffneter Widerstand verstanden werden. Es handelt sich eher um ein Netzwerk Gleichgesinnter, die Hitler und den Nationalsozialismus ablehnen, dies aber nicht offen zugeben können und sich nur noch konspirativ informieren und heimlich gegenseitig helfen. Auch dies wurde von den Nazis nicht toleriert und oft drakonisch bestraft.

Alfred Jahn wird im Juni 1936 im Rahmen einer großen Verhaftungswelle gegen die Sozialistische Front inhaftiert. Er ist vom 19.6. bis zum 24.6.19 36 im Polizeigefängnis Hildesheim, vom 25.6.36 bis zum 5.12.38 im Landgerichtsgefängnis Hildesheim und im Polizeigefängnis Hannover in Untersuchungs- und Schutzhaft. Er wird dann am 6.12.1938 bis zum 19.4.1939 in das Gerichtsgefängnis Hamm in Westfalen gebracht und dort am 28./29.3.1939 angeklagt. [Hannoversches Landesarchiv HLA, Hann. 86 Hameln, Acc. 143/90, Nr. 3466].

In dem Verfahren „Wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen Alfred Jahn und Christine Kirchhoff“ wird Jahn zu fünf Jahren und Kirchhoff zu einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. [Ebenda, Urteil vom 23.5.1939- OJs 157/38].

Alfred Jahn weist allerdings fast alle gegen ihn – vor allem von Walter Spengemann – erhobenen Vorwürfe zurück. Spengemann war leitendes Mitglied der Sozialistischen Front und galt dort später als einer der Hauptverräter. Das Gericht glaubt Jahn nicht.

In der Zusammenfassung heißt es:

„Auf Grund der (…) erwiesenen Sachverhalte hat sich der Angeklagte Jahn im Sinne der Anklage schuldig gemacht. Er hat durch Weitergabe der Hetzschrift (Anm. d. Red.: gemeint sind die Sozialistischen Blätter) vom 30. Juni 1934, durch wiederholte Annahme illegalen Materials von dem Zeugen Hilke, durch Unterstützung politischer Gesinnungsgenossen, ...und schließlich durch seine Verbindung mit Werner Blumenberg die Bestrebungen der illegalen SPD gefördert. ... Seine illegale Betätigung war ... darauf gerichtet, zur Vorbereitung des Hochverrats einen organisatorischen Zusammenhalt herzustellen oder aufrecht zu erhalten. Seine Tat war ... auch auf Beeinflussung der Massen durch Verbreitung von Schriften gerichtet. Jahn hat sich hiernach durch seine als eine fortgesetzte Handlung anzusehende illegale Betätigung der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens schuldig gemacht …“ [Hannoversches Landesarchiv HLA, Hann. 86 Hameln, Acc. 143/90, Nr. 3466].

Beim Strafmaß von fünf Jahren Zuchthaus sind ihm zwei Jahre verbüßte Polizei-, Schutz- und Untersuchungshaft angerechnet worden. [Ebenda, Urteil vom 23.5.1939- OJs 157/38].

Am 20.4.39 kommt Alfred Jahn in Strafhaft in das Zuchthaus Hameln. Hier sitzt er bis zum 28.3.1942 ein. [Hannoversches Landesarchiv HLA, Hann. 87 Hameln, Acc. 143/90, Nr. 3477].

Alfred Jahn erhält auf der Zugangsliste die Nummer 134/39. Er wird beschrieben mit 175 cm Größe, Augen: grau, Kinn: voll, Haar: dunkel, Stirn: hoch, Ohren: groß, Sprache: deutsch, besondere Kennzeichen: keine.

Alfred Jahns allgemeiner Gesundheitszustand hatte sich in Hameln weiter verschlechtert und wird als mangelhaft beschrieben. So hatte er bei seiner Einlieferung 96,5 kg gewogen, bei seiner Entlassung nur noch 83,5 kg. Seine Erwerbsbeschränkung wird mit 50% angegeben. [Ebenda].

Gnadengesuche seiner Frau werden abgelehnt mit der Begründung, er sei ein verschlossener, vorsichtiger Mensch, der seine Straftat immer noch leugnet. Einsicht und Wandlungswille seinen nicht zu erkennen.

Nach Ablauf der Haftzeit in Hameln kommt Alfred Jahn in Schutzhaft und wird ab 29.3.42 in das Schutzhaftlager Liebenau gebracht. Danach wird er in das „Haftverschärfte Straflager“ Flossenbürg eingeliefert. [Ebenda].

Hier ist er ab dem 2.6.1942 registriert. Seine Häftlingsnummer ist 2163. Bei Haftart wird „Politische Schutzhaft“ vermerkt. [Brief Memorial Archives.International, vom 4.12.2019].

Seiner Einschätzung nach überlebt er das KZ nur, weil ihn „einige Glücksumstände“ vor dem Tode bewahrten. Er ist seit 1942 gezwungen, ohne Zähne zu essen. „Monatelang habe ich damals täglich nur von einigen Pellkartoffeln und etwa einem halben Pfund Brot mit etwas Margarine und dergl. gelebt. Den von den Rieselfeldern stammenden fauligen Kohl konnte ich nicht mehr essen.“ [HLA, s.o.].

Zu seiner Gesamtsituation schreibt er: „Flossenbürg war ein Vernichtungslager. Nach dort bin ich als einzigster von meinen inhaftierten Freunden verbracht worden, zu dem ausschließlichen Zweck ausgelöscht zu werden. Nachdem ich dort durch die Quarantäne gegangen und zur Arbeit eingeteilt war, bestimmte der Lagerführer persönlich meine Verwendung in der sogenannten „Planierung III“, einem Nebenbetrieb des Steinbruchs-Vernichtungskommando für russische Kriegsgefangene, Juden und „unbequeme Elemente.“ [Ebenda].

Am 24.10.1942 endet seine Zeit im KZ Flossenbürg und Alfred Jahn wird in das KZ nach Sachsenhausen gebracht. Er erhält die Häftlingsnummer 51430. Den dortigen katastrophalen Gesundheitszustand von Alfred Jahn beschreiben Mithäftlinge, die ihn „... als ein totkrankes menschliches Wrack vorfanden. Schwerst herzkrank, hochgradige Wassersucht, unfähig zum Gehen.“ [HLA, Nds. 110/W, Acc. 70/95, Nr. 304/1].

Er überlebte vermutlich auch nur, weil ihm mitgefangene Kameraden halfen und unterstützten.

Anfang Mai 1945 kommt Alfred Jahn im Alter von fast sechzig Jahren aus dem KZ frei.

 


 

Nachkriegszeit



Alfred Jahn und Sylvia ca. 1960 im Garten Am Grünen Hagen 56 (Foto: Sylvia Wolter)

 

Alfred Jahn kommt wieder nach Hannover und lebt eine Zeitlang in Vahrenwald.

Alfred Jahn ist erst einmal ohne Beruf bzw. lediglich ehrenamtlich tätig. Er wird z.B. Mitglied des Hauptausschusses ehemaliger politischer Häftlinge. [HLA, Nds. 110/W, Acc. 70/95, Nr. 304/1]. Vom 1.3.46 bis zum 31.3.1950 gibt er dann seinen Beruf als Geschäftsführer des Einzelhandelverbandes an. Das Lebensmittelgeschäft der Familie führen die jüngste Tochter Martha und ihr Mann Richard Schubert.

Die folgenden Jahre der Nachkriegszeit sind geprägt von Anträgen, Stellungnahmen, Bescheiden und Widerrufen zur Rente und zu Entschädigungsleistungen. Dabei geht es auch um den Besitz, den er durch die Verhaftung verloren hatte und den er genau auflisten und schätzen muss. Und es geht um ärztliche Gutachten, die seinen Gesundheitszustand und die durch die Haft bedingte Verschlechterung beurteilen und entsprechend für eine Entschädigung einschätzen. Hierbei kommt es wiederholt zu Einsprüchen und erneuten Gutachten. Ferner geht es auch um seinen ehemaligen beruflichen Status und die Einschätzung seiner beruflichen Qualifikation und Stellung und damit seines Verdienstes zur Ermittlung der Höhe der Rente.

Alfred Jahn ist wieder Mitglied der SPD geworden. Ob er Mitglied des 1953 neu gegründeten Reichsbanners geworden ist, ist uns nicht bekannt.

Erhalten geblieben ist ein Briefwechsel, in dem sich Alfred Jahn 1955 beim Bundespräsidenten Theodor Heuss darüber beschwert, dass sich unter den Rückkehrern aus Russland auch deutsche Kriegsverbrecher befinden sollen. Die dürften keinesfalls als unschuldig gelten und wie die anderen Wehrmachtssoldaten behandelt werden. [BundesArchiv, B 122, 162:ms. Schreiben, behändigte Ausfertigung, Az. A 1-22133/55].

Alfred Jahn hat seit den 1950er Jahren ein Haus Am Grünen Hagen 56 in Oberricklingen und lebt dort.

Am 9.7.1958 verstirbt seine Frau Elisabeth. Am Grünen Hagen wohnt Alfred Jahn mit seinem Sohn Wilhelm bis zu seinem Tod am 7.4.1974 in Oberricklingen. [HLA, Nds. 110/W, Acc. 70/95, Nr. 304/1].

Sein Grab befindet sich auf dem Ricklinger Friedhof.

Im Februar 2023 wird das Grab auf Initiative von Sylvia Wolter von der Stadt Hannover zum Ehrengrab ernannt.

 



Ehrengrab auf dem Ricklinger Friedhof Sommer 2023 (Foto: Manfred Wolter)



Jonny Peter:

Alfred Jahn



Auszüge aus der Broschüre "Alfred Jahn und das Reichsbanner" von Jonny Peter, Silvia und Manfred Wolter sowie Susanne Böhmer, die in der Egon Kuhn Geschichtswerkstatt im Freizeitheim Linden e.V. erhältlich ist.

 


 

Alfred Jahn gehört zu den wichtigsten Akteuren der hannoverschen Arbeiterbewegung in der Weimarer Zeit. Im Nationalsozialismus muss der Geschäftsführer des 1933 verbotenen Reichsbanners und Mitglied einer sozialdemokratischen Widerstandsorganisation die meiste Zeit im Zuchthaus und in verschiedenen Konzentrationslagern verbringen. Als er im Mai 1945 befreit wird, ist er fast 60 Jahre alt. Und es ist geradezu ein Wunder, dass er – gesundheitlich stark gezeichnet – die Torturen überhaupt überlebt hat. Die meisten der folgenden Informationen stammen von Materialien aus dem Niedersächsischen Landesarchiv/ Hauptstaatsarchiv.

 


 

Wer ist Alfred Jahn?

Alfred Jahn wird am 14.10.1885 in Langensalza in Thüringen geboren. Der Vater ist Karl Louis Oskar Jahn, von Beruf Weber, die Mutter Henriette Louise, geb. Tangermann. Nach der Beendigung der Volksschule arbeitet Alfred Jahn vom 14. bis 18. Lebensjahr in einer Mechanischen Weberei in Hamm mit einer Ausbildung als Bürogehilfe. Von 1903 bis 1905 arbeitet er in einem Kohlenbergwerk. 1905 meldet er sich freiwillig bei dem thüringischen Ulanenregiment Nr. 6. Dort ist er bis 1910 tätig.

Am 24.12.1910 heiratet Alfred Jahn (mit Wohnort Hannover-Linden) in Langensalza Elisabeth Ester. Am 19.8.1905 ist in Massen/ Kreis Hamm der Sohn Wilhelm geboren worden. Später kommen die Töchter Hildegard und Martha zur Welt.

Nach der Militärzeit Alfred Jahns zieht die Familie nach Hannover. Er wird Hilfsschutzmann bei der Polizei. 1921 wird er wegen „Unterschlagung im Amte“ verurteilt und muss seinen Dienst bei der Polizei aufgeben. Seit 1919 ist Alfred Jahn Mitglied der SPD und wird auch zum Bürgervorsteher (heute: Ratsmitglied) in Hannover gewählt.

1925 wird er Geschäftsführer des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold in Hannover und arbeitet hier bis zum Verbot des Reichsbanners 1933. Alfred Jahn selber nennt seine Funktion später immer Geschäftsführer. Andere Mitstreiter beschreiben seine Funktion auch als technischen Leiter des Reichsbanners.

 


 

Im Nationalsozialismus im Widerstand, im Zuchthaus und in KZs

Bei dem SA-Überfall auf eine SPD-Wahlveranstaltung am Lister Turm am 21.2.1933 wird Alfred Jahn durch einen Prellschuss am Bein verletzt. Die beiden Reichsbannermitglieder Wilhelm Heese und Willi Großkopf sterben durch Schussverletzungen.

Nur wenige Tage nach diesem Ereignis in Hannover steht am 27.2.1933 in Berlin der Reichstag in Flammen. Die Nationalsozialisten nutzen diese Vorgänge als weiteren Vorwand, um die Opposition weiter einzuschränken und die Demokratie abzuschaffen.

Eine weitere Niederlage für die Arbeiterbewegung und das Reichsbanner in Hannover ereignet sich am 1.4.1933, dem Tag des Boykotts jüdischer Geschäfte. An der Goseriede befindet sich das Gewerkschaftshaus. Da es seit Mitte 1932 zu SA-Überfällen kommt, übernimmt das Reichsbanner rund um die Uhr die Überwachung der Eingänge der Gewerkschaftshäuser. Als der damalige Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) Bock sich nicht ausweisen kann, verwehrt man ihm den Zutritt. Daraufhin fordert er Alfred Jahn als Verantwortlichem des Reichsbanners dazu auf, die Wachen abzuziehen. Das lehnt Alfred Jahn ab. Als Kompromiss einigt man sich darauf, einen Zutritt ohne Ausweis nur durch eine dortige Gaststätte zu ermöglichen. Dies ist am 1.4.1933 das Schlupfloch für zwei Nazis, um in den Innenhof zu gelangen und dort Schüsse abzugeben. Dies wiederum nutzen SS-Mitglieder der Standarte 12, um daraufhin die Gebäude unter dem Vorwand zu stürmen, aus einem Haus sei geschossen worden. Gegen die schwer bewaffneten SS-Leute haben die sechzig unbewaffneten Reichsbannermänner keine Chance. Sie ergeben sich ohne Widerstand. Auf dem Hauptgebäude hissen die Nazis die Hakenkreuzfahne als Zeichen ihres Triumphes. [Vgl. Obenaus, Herbert. Hannover 1933, S. 60/61].

Alfred Jahn muss im Anschluss an diese Vorgänge als hauptamtlicher Organisationsleiter des Reichsbanners vorzeitig aus dem Dienst ausscheiden. Das Reichsbanner wird aufgelöst.

Am 5.3.1933 war Alfred Jahn das erste Mal nach seiner Wiederwahl zum Bürgervorsteher des Rates der Stadt Hannover für die SPD kurzzeitig verhaftet worden. Vom 13.6. bis 23.6.1933 ist er erneut in Schutzhaft im Polizeigefängnis in Hannover, vom 24.6. bis zum 8.7.33 in Moringen und vom 31.7. bis 28.8.33 im Polizeigefängnis in Hannover und im Gerichtsgefängnis in Moringen. Es kann ihm allerdings nichts Rechtswidriges nachgewiesen werden und so wird er am 28.8.1933 wieder entlassen.

Er findet keine Arbeitsstelle und bekommt keinerlei öffentliche finanzielle Unterstützung. Er kann allerdings ein kleines Lebensmittelgeschäft erwerben, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Alfred Jahn wird in der Folge auch für die sozialdemokratische Widerstandsorganisation „Sozialistische Front“ aktiv. Bereits im Sommer 1932 war Werner Blumenberg auf einer Abteilungsleitersitzung der SPD mit der Vorbereitung für eine mögliche Illegalität der Partei beauftragt worden. Seit 1934 entwickelt sich daraufhin eine Gruppe unter dem Namen Sozialistische Front mit einer geschätzten Zahl von 1.000 Mitgliedern. Sie wird zur größten regionalen Widerstandsorganisation im 3. Reich. Wichtigste Aktivität ist die geheime Herausgabe und Verbreitung der „Sozialistischen Blätter“.

Die Sozialistische Front gehört zu einer Anzahl von Gruppierungen, die „Widerstand“ gegen das Hitler-Regime leisten. Widerstand darf hier nicht als bewaffneter Widerstand verstanden werden. Es handelt sich eher um ein Netzwerk Gleichgesinnter, die Hitler und den Nationalsozialismus ablehnen, dies aber nicht offen zugeben können und sich nur noch konspirativ informieren und heimlich gegenseitig helfen. Auch dies wurde von den Nazis nicht toleriert und oft drakonisch bestraft.

Alfred Jahn wird im Juni 1936 im Rahmen einer großen Verhaftungswelle gegen die Sozialistische Front inhaftiert. Er ist vom 19.6. bis zum 24.6.19 36 im Polizeigefängnis Hildesheim, vom 25.6.36 bis zum 5.12.38 im Landgerichtsgefängnis Hildesheim und im Polizeigefängnis Hannover in Untersuchungs- und Schutzhaft. Er wird dann am 6.12.1938 bis zum 19.4.1939 in das Gerichtsgefängnis Hamm in Westfalen gebracht und dort am 28./29.3.1939 angeklagt. [Hannoversches Landesarchiv HLA, Hann. 86 Hameln, Acc. 143/90, Nr. 3466].

In dem Verfahren „Wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen Alfred Jahn und Christine Kirchhoff“ wird Jahn zu fünf Jahren und Kirchhoff zu einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. [Ebenda, Urteil vom 23.5.1939- OJs 157/38].

Alfred Jahn weist allerdings fast alle gegen ihn – vor allem von Walter Spengemann – erhobenen Vorwürfe zurück. Spengemann war leitendes Mitglied der Sozialistischen Front und galt dort später als einer der Hauptverräter. Das Gericht glaubt Jahn nicht.

In der Zusammenfassung heißt es:

„Auf Grund der (…) erwiesenen Sachverhalte hat sich der Angeklagte Jahn im Sinne der Anklage schuldig gemacht. Er hat durch Weitergabe der Hetzschrift (Anm. d. Red.: gemeint sind die Sozialistischen Blätter) vom 30. Juni 1934, durch wiederholte Annahme illegalen Materials von dem Zeugen Hilke, durch Unterstützung politischer Gesinnungsgenossen, ...und schließlich durch seine Verbindung mit Werner Blumenberg die Bestrebungen der illegalen SPD gefördert. ... Seine illegale Betätigung war ... darauf gerichtet, zur Vorbereitung des Hochverrats einen organisatorischen Zusammenhalt herzustellen oder aufrecht zu erhalten. Seine Tat war ... auch auf Beeinflussung der Massen durch Verbreitung von Schriften gerichtet. Jahn hat sich hiernach durch seine als eine fortgesetzte Handlung anzusehende illegale Betätigung der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens schuldig gemacht …“ [Hannoversches Landesarchiv HLA, Hann. 86 Hameln, Acc. 143/90, Nr. 3466].

Beim Strafmaß von fünf Jahren Zuchthaus sind ihm zwei Jahre verbüßte Polizei-, Schutz- und Untersuchungshaft angerechnet worden. [Ebenda, Urteil vom 23.5.1939- OJs 157/38].

Am 20.4.39 kommt Alfred Jahn in Strafhaft in das Zuchthaus Hameln. Hier sitzt er bis zum 28.3.1942 ein. [Hannoversches Landesarchiv HLA, Hann. 87 Hameln, Acc. 143/90, Nr. 3477].

Alfred Jahn erhält auf der Zugangsliste die Nummer 134/39. Er wird beschrieben mit 175 cm Größe, Augen: grau, Kinn: voll, Haar: dunkel, Stirn: hoch, Ohren: groß, Sprache: deutsch, besondere Kennzeichen: keine.

Alfred Jahns allgemeiner Gesundheitszustand hatte sich in Hameln weiter verschlechtert und wird als mangelhaft beschrieben. So hatte er bei seiner Einlieferung 96,5 kg gewogen, bei seiner Entlassung nur noch 83,5 kg. Seine Erwerbsbeschränkung wird mit 50% angegeben. [Ebenda].

Gnadengesuche seiner Frau werden abgelehnt mit der Begründung, er sei ein verschlossener, vorsichtiger Mensch, der seine Straftat immer noch leugnet. Einsicht und Wandlungswille seinen nicht zu erkennen.

Nach Ablauf der Haftzeit in Hameln kommt Alfred Jahn in Schutzhaft und wird ab 29.3.42 in das Schutzhaftlager Liebenau gebracht. Danach wird er in das „Haftverschärfte Straflager“ Flossenbürg eingeliefert. [Ebenda].

Hier ist er ab dem 2.6.1942 registriert. Seine Häftlingsnummer ist 2163. Bei Haftart wird „Politische Schutzhaft“ vermerkt. [Brief Memorial Archives.International, vom 4.12.2019].

Seiner Einschätzung nach überlebt er das KZ nur, weil ihn „einige Glücksumstände“ vor dem Tode bewahrten. Er ist seit 1942 gezwungen, ohne Zähne zu essen. „Monatelang habe ich damals täglich nur von einigen Pellkartoffeln und etwa einem halben Pfund Brot mit etwas Margarine und dergl. gelebt. Den von den Rieselfeldern stammenden fauligen Kohl konnte ich nicht mehr essen.“ [HLA, s.o.].

Zu seiner Gesamtsituation schreibt er: „Flossenbürg war ein Vernichtungslager. Nach dort bin ich als einzigster von meinen inhaftierten Freunden verbracht worden, zu dem ausschließlichen Zweck ausgelöscht zu werden. Nachdem ich dort durch die Quarantäne gegangen und zur Arbeit eingeteilt war, bestimmte der Lagerführer persönlich meine Verwendung in der sogenannten „Planierung III“, einem Nebenbetrieb des Steinbruchs-Vernichtungskommando für russische Kriegsgefangene, Juden und „unbequeme Elemente.“ [Ebenda].

Am 24.10.1942 endet seine Zeit im KZ Flossenbürg und Alfred Jahn wird in das KZ nach Sachsenhausen gebracht. Er erhält die Häftlingsnummer 51430. Den dortigen katastrophalen Gesundheitszustand von Alfred Jahn beschreiben Mithäftlinge, die ihn „... als ein totkrankes menschliches Wrack vorfanden. Schwerst herzkrank, hochgradige Wassersucht, unfähig zum Gehen.“ [HLA, Nds. 110/W, Acc. 70/95, Nr. 304/1].

Er überlebte vermutlich auch nur, weil ihm mitgefangene Kameraden halfen und unterstützten.

Anfang Mai 1945 kommt Alfred Jahn im Alter von fast sechzig Jahren aus dem KZ frei.

 


 

Nachkriegszeit



Alfred Jahn und Sylvia ca. 1960 im Garten Am Grünen Hagen 56 (Foto: Sylvia Wolter)

 

Alfred Jahn kommt wieder nach Hannover und lebt eine Zeitlang in Vahrenwald.

Alfred Jahn ist erst einmal ohne Beruf bzw. lediglich ehrenamtlich tätig. Er wird z.B. Mitglied des Hauptausschusses ehemaliger politischer Häftlinge. [HLA, Nds. 110/W, Acc. 70/95, Nr. 304/1]. Vom 1.3.46 bis zum 31.3.1950 gibt er dann seinen Beruf als Geschäftsführer des Einzelhandelverbandes an. Das Lebensmittelgeschäft der Familie führen die jüngste Tochter Martha und ihr Mann Richard Schubert.

Die folgenden Jahre der Nachkriegszeit sind geprägt von Anträgen, Stellungnahmen, Bescheiden und Widerrufen zur Rente und zu Entschädigungsleistungen. Dabei geht es auch um den Besitz, den er durch die Verhaftung verloren hatte und den er genau auflisten und schätzen muss. Und es geht um ärztliche Gutachten, die seinen Gesundheitszustand und die durch die Haft bedingte Verschlechterung beurteilen und entsprechend für eine Entschädigung einschätzen. Hierbei kommt es wiederholt zu Einsprüchen und erneuten Gutachten. Ferner geht es auch um seinen ehemaligen beruflichen Status und die Einschätzung seiner beruflichen Qualifikation und Stellung und damit seines Verdienstes zur Ermittlung der Höhe der Rente.

Alfred Jahn ist wieder Mitglied der SPD geworden. Ob er Mitglied des 1953 neu gegründeten Reichsbanners geworden ist, ist uns nicht bekannt.

Erhalten geblieben ist ein Briefwechsel, in dem sich Alfred Jahn 1955 beim Bundespräsidenten Theodor Heuss darüber beschwert, dass sich unter den Rückkehrern aus Russland auch deutsche Kriegsverbrecher befinden sollen. Die dürften keinesfalls als unschuldig gelten und wie die anderen Wehrmachtssoldaten behandelt werden. [BundesArchiv, B 122, 162:ms. Schreiben, behändigte Ausfertigung, Az. A 1-22133/55].

Alfred Jahn hat seit den 1950er Jahren ein Haus Am Grünen Hagen 56 in Oberricklingen und lebt dort.

Am 9.7.1958 verstirbt seine Frau Elisabeth. Am Grünen Hagen wohnt Alfred Jahn mit seinem Sohn Wilhelm bis zu seinem Tod am 7.4.1974 in Oberricklingen. [HLA, Nds. 110/W, Acc. 70/95, Nr. 304/1].

Sein Grab befindet sich auf dem Ricklinger Friedhof.

Im Februar 2023 wird das Grab auf Initiative von Sylvia Wolter von der Stadt Hannover zum Ehrengrab ernannt.

 



Ehrengrab auf dem Ricklinger Friedhof Sommer 2023 (Foto: Manfred Wolter)